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Dies ist ein Gastartikel von Constantin Alexander. „Die Welt ist eine Bühne“, soll Shakespeare einmal treffend zusammengefasst haben. Und es stimmt bis heute: An jeder Ecke inszenieren sich echte und vermeintliche Experten und versuchen, uns etwas zu verkaufen. Auf dem Weg zur Wissensgesellschaft sind das immer seltener materielle Dinge, sondern Ideen. Und weil jeder versucht, seine Idee und Vorstellung von Erfolg zu verbreiten, wird das Durcheinander der Stimmen mitunter sehr laut und vor allem: anstrengend.

Nachhaltigkeit

Vor ein paar Jahren wurde für diese Vielstimmigkeit, dieses Geballer der Ideen, Hypes und Trends der passende Begriff Content Shock gefunden. Denn wie ein Schock wirkt es eben wirklich, wie viele Inhalte inzwischen geradezu ins Netz gekippt werden. Jede Woche gibt es gefühlt eine neue Wahrheit, welche Werte bei der Entwicklung von Marken und ganzen Unternehmen eine wichtige Rolle spielen. Gemessen an der Schlagzahl, in der Artikel darüber veröffentlicht werden, könnte man schier durchdrehen. Und diese Überforderung und das Gefühl des schlechten Überblicks nutzen die selbst ernannten Propheten der Ideen natürlich für sich aus.

 

Auch bei den klassischen Medien zählt: Quantität statt Qualität

Diese Entwicklung ist nicht nur auf den Bereich Online-Marketing beschränkt. Es ist ein Trend, der seit einigen Jahren alle Bereiche der Medien erfasst hat. In einem stetig schnelleren Wettlauf haben sich die großen Medienhäuser einem Prozess unterworfen, der die Quantität der Nachrichten konstant erhöht. Inzwischen gibt es automatisierte Content-Management-Systeme, die die Meldungen der Nachrichtenagenturen nur wenige Minuten nach Veröffentlichung auf ihren Kanälen verbreiten. Im Sport- und Finanzbereich ist die Automatisierung der Nachrichtenerzeugung inzwischen so weit fortgeschritten, dass es Bereiche gibt, die fast ohne Menschen auskommen. Robo-Journalismus heißt hier das Schlagwort und hat innerhalb des klassischen Medienbereichs vor allem für Angst vor Arbeitsplatzabbau geführt – zu Recht.

Dabei gab es schon vorher einen Zwang zum Wachstum durch die wichtigsten Kennzahlen: Klicks, Unique Visits, Page Impressions. Portale wie Huffington Post, Buzzfeed oder Heftig.co haben in den vergangenen Jahren gezeigt, wie weit die Jagd nach den schnellen Klicks gehen kann. Und einige der vermeintlich seriösen Nachrichtenseiten sind dem gefolgt. Selbst bei einigen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten dominiert – analog zu den Zuschauerzahlen im TV – der Zwang zum quantitativen Wachstum. Dabei wird häufig vergessen, dass die User am Ende der Verwertungskette mehr sind als nur Link-Klicker und Teiler.

 

Brauchen wir neue Nachrichtenwerte?

Diverse wissenschaftliche Studien zeigen schon heute, dass es eine Überforderung und vor allem Ermüdung bei regelmäßigen Nutzern von Nachrichten oder sozialen Medien gibt. Das betrifft selbst die großen Leuchttürme wie die „Tagesschau“, deren Redakteure daran verzweifeln, einerseits das Geschehen auf der Welt in 15 Minuten zu pressen und andererseits seine Nutzer nicht durch zu viel Negativität zu vergraulen. Doch auch sie sind durch die Vorgaben von oben gezwungen, die Klickzahlen im Auge zu behalten und richten sich dabei vorwiegend an die Leitlinien, die in den sogenannten Nachrichtenwerten festgelegt sind.

Je nach Redaktion sind das unterschiedliche Faktoren, die bestimmen, ob ein Ereignis relevant genug ist, um es auf den eigenen Kanälen zu teilen. Durch die steigende weltweite Vernetzung fällt es dabei immer schwerer, im Einzelfall klar zu identifizieren, welche News welche Priorität bekommen soll. Also greifen immer mehr Redaktionen zu immer drastischeren Maßnahmen, um Aufmerksamkeit bei den Nutzern zu erzeugen.

Doch Aufmerksamkeit ist ein knappes und sehr wertvolles Gut. Jedem Menschen stehen täglich nur wenige Minuten zur Verfügung, um sich abseits der Arbeit, des Haushalts, der Familie und den Freunden mit der Aufnahme von Informationen zu befassen. Diese Zeit ist die wichtigste Ressource für die Medien. Und sie ist begrenzt. Doch anstatt diesen wichtigen Rohstoff achtsam und nachhaltig zu berühren, wird der Ton immer schriller und die Methoden, mit der vermeintliche Nachrichten gesammelt werden, respektloser.

 

Kommt nach dem Slow Journalism auch das Slow Marketing?

Doch es gibt im Journalismus auch Gegenpole zum Schneller Höher Weiter. Unter dem Sammelbegriff Slow Journalism haben sich in den vergangenen Jahren Medienkanäle und Formate etabliert, die nicht das Ziel haben, sekundenschnell vermeintliche Updates zu bringen, sondern sich Zeit nehmen für die Entwicklung einer Geschichte. Im Printbereich hat das vor allem das Hamburger Magazin „Die Zeit“ verstanden. Einmal in der Woche geben die Redakteure ihren Lesern Einschätzungen, Portraits und mitunter auch detaillierte Reflektionen des Weltgeschehens. Und damit kann die Zeitschrift seit Jahren trotz Medienkrise seine Auflage erhöhen. Auch Magazine wie „Brandeins“ oder „Landlust“ haben gezeigt, dass es sich lohnt, Raum zu nehmen für Geschichten und vor allem nicht auf Trends und Hypes zu reagieren.

Im Zentrum steht dabei die nüchterne Annahme, dass die Aufmerksamkeit der Menschen, wie alle Ressourcen, nicht ausgebeutet werden soll, sondern nachhaltig gepflegt. Das hat etwas mit Achtsamkeit zu tun, aber auch einfach mit Respekt. Dieser Ansatz lohnt sich auch im Marketing. Denn Kunden und das Netzwerk würdigen einen nachhaltigen Ansatz, bei dem nicht das schnelle, wahllose Teilen von News und Trends im Vordergrund steht, sondern die gründliche Analyse.

Manchmal lohnt es sich eben, „das nächste große Ding“ erst einmal in Ruhe zu beobachten und dann zu entscheiden, ob es sich lohnt, seinen guten Ruf aufs Spiel zu setzen und diese Idee zu teilen. Nur so kann das Fundament jeden Handelns wachsen, auf das wir alle im Medienbereich angewiesen sind: Glaubwürdigkeit und Vertrauen.

 

Zu Constantin Alexander

Constantin Alexander arbeitet als Politikwissenschaftler, Journalist und Nachhaltigkeitsberater in Hannover und Berlin. Sein Leitthema ist die nachhaltige Transformation der Gesellschaft. Er bloggt unter ihmezentrum.org.

Ein Kommentar

    Nico Rehmann sagt:

    Sehr interessanter Artikel!
    Slow Journalismus und Marketing sind aber sicherlich nur ein Teil um der Flut Herr zu werden. Auch intelligente Content Recommendation Engines können hier helfen Relevanz zu schaffen.